Durch kommunale Kunstschulen eine Lücke in der Kulturpolitik schließen
Von Guy Weirich
In der nationalen Kulturpolitik klafft eine Lücke: Im Kunstbereich fehlt bei der Förderung des Nachwuchses eine breit aufgestellte Politik. Das wird einem bewusst, wenn man die verschiedenen Kunstrichtungen untereinander vergleicht und dabei bestimmte Kunstsparten (Malerei, Film, Fotografie, Literatur etwa) dem stark ausgebauten Musikbetrieb gegenüberstellt.
Vom Erfolgsmodell der Musikschulen lernen
Mehrere Konservatorien, lokale und regionale Musikschulen und die überregionale UGDA-Musikschule sorgen für eine angemessene Förderung der Talente in Musik, Gesang, Tanz sowie in der „Kunst des Wortes“ (Diktion, Theater). Seit Jahren verfügt Luxemburg hierdurch über ausgezeichnete Amateure und Professionelle. Die Musikschulen stehen für eine außergewöhnliche Erfolgsstory.
Auch wenn der Musik in den Curricula unserer allgemeinen Schulen ebenfalls einen besonderen Stellenwert eingeräumt wird, verstehen diese Schultypen und die Musikschulen sich nicht als Rivalen. Sie ergänzen sich sinnvoll. Vergleichbares fehlt im Blick auf die anderen Kunstsparten.
Kommunale Kunstschulen könnten Abhilfe schaffen und künstlerische Tätigkeiten jenseits der Musiksparte in stärkerem Maße fördern.
Das Kunstschaffen systematischer und breiter fördern
Die Schaffung von kommunalen Kunstschulen soll jungen und älteren Menschen eine systematische Ausbildung im Bereich der Künste ermöglichen und die Angebote, im Vergleich zu den Kursen in der Schule oder in der Freizeit, erweitern.
Ihr Programm könnte Kurse in Malerei, Zeichnen, Grafik, Graffiti, digitaler Kunst, Modellieren … enthalten. Es könnte jene Bereiche beachten, die am Rande der schulischen Kunstszene angesiedelt sind und oft nur von Amateuren betrieben werden. Bei Film, Fotografie und literarischem Schreiben z.B. ist der Nachholbedarf am größten.
Solche Kunstschulen könnten zugleich als kommunale Häuser der Kunst dienen, die neben einem Ausstellungsraum, auch eine öffentliche Bibliothek bzw. eine Mediathek beinhalten.
Oberstes Ziel wäre die Förderung des Nachwuchses im Kunstbereich.
In den Regionen zusammenarbeiten
Nicht jede Gemeinde kann eine Kunstschule mit breit gefächerten Angeboten schaffen. Auf regionaler Ebene aber wird es möglich sein, verschiedene Kunstrichtungen zu fördern und genügend junge und ältere Kunstinteressierte zusammenzuführen.
Durch Zusammenarbeit können die Herausforderungen gemeistert werden: die Suche und die Einstellung geeigneter Lehrkräfte, die Entwicklung von Programmen, die notwendige Infrastruktur und die finanzielle Absicherung. Die Kunstschulen wären somit dem Konzept der regionalen Musikschulen nachempfunden. Bereits bestehende Projekte im Kunstbereich wären dabei einzubinden und auszubauen.
Der ästhetischen Bildung mehr Raum geben
Kunst bildet, sie dient der Entfaltung des Menschen und seiner Selbstwerdung. Sie schärft den Blick auf die Welt, auf die Mitmenschen und auf sich selbst. Sie ist offen für Erfahrungen unterschiedlichster Art, für Glück, Leid und Ohnmacht, selbst für das Unverfügbare. Selbst wenn man Nietzsche, der in der Kunst die einzige Möglichkeit sieht, die Leere und Sinnlosigkeit des Daseins zu bewältigen, nicht zustimmen muss, so hat dieser Denker doch wortgewaltig ausgedrückt, was Kunst vermag. Für ihn ist sie „die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Lebensstimulans des Lebens“. Für Herder ist Kunst eine Schule der Humanität. Stimmt man dem zu, dann wird die Bedeutung der ästhetischen Bildung deutlich – besonders auch für unsere multikulturelle Gesellschaft.
Wenn hier für einen neuen Weg der Kunstförderung plädiert wird, wird die bisherige Kunstpolitik keineswegs negativ bewertet. Im Gegenteil: Hohe Wertschätzung verdient das bisher von Staat und Gemeinden Geleistete. Da gibt es großartige Strukturen (Museen und Kulturhäuser), attraktive und hochwertige Angebote unterschiedlichster Art und eine gut funktionierende Kunsterziehung in den Schulen. Zahlreiche Gemeinden investieren viel in Kunst: Festivals, Ausstellungen, Wettbewerbe, Freizeitkurse, Skulpturen. Das gilt auch für die Förderung junger Talente. Erwähnt sei etwa der Literaturwettbewerb für junge Autoren der Gemeinde Bettemburg („Prix Laurence“). Das Festival „Bayota“ (Bartreng Young Talents) unterstützt Talente in Musik, Gesang, Tanz, Theater, Film, Malerei / 3D & Virtual Reality Painting / Cartoon / Manga / Graffiti. Auf solchen Projekten kann eine Kunstschule aufbauen.
Die Vorteile einer Kunstschule nutzen
Der Künstler Raphael Gindt brachte die Idee einer Kunstschule ins Spiel. Im „Kamellebuttek“ in Esch/Alzette bietet er zusammen mit Daniel Mac Lloyd und weiteren Mitarbeitern eine Menge pädagogischer Projekte an.
Kommunale Kunstschulen könnten die pädagogischen Aktivitäten im Kunstbereich noch stärker diversifizieren und eine systematischere Ausbildung leisten, die als Ergänzung zum schulischen Unterricht anzusehen wäre. Sie könnten mehr jungen und auch älteren Menschen die Möglichkeit zum aktiven Kunstschaffen geben und eine größere Chancengleichheit garantieren. Eine solch breitere Basisarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus allen Schichten der Bevölkerung würde zu einer weiteren Demokratisierung der Kunst führen. Vor allem geht es darum, Kunst nicht nur passiv zu erleben oder bloß zu konsumieren, sondern aktiv am Kunstgeschehen teilzunehmen und selber Kunst zu schaffen und dies auch in jenen Kunstbereichen, die, wie der Film, die Literatur oder die Fotografie, derzeit vor allem in kulturellen Nischen angesiedelt sind.
Auch kreatives Schreiben einbeziehen
Auch wenn manche Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen Wert auf kreatives Schreiben legen, führen ihre Projekte meist doch ein bloßes Nischendasein. Die Lernprogramme sind so vollgestopft, dass wenig Zeit bleibt für die Arbeit an Texten, die als Kunstform verstanden werden können: Gedichte oder Kurzgeschichten etwa. Wo jedoch kreatives Schreiben gefördert wird, erweisen junge Menschen sich durchaus als sehr begabt. Beispiele hierfür finden sich regelmäßig in der Kulturzeitschrift „nos cahiers“, die den literarischen Produkten Jugendlicher im „Le cahier des jeunes“ eine Veröffentlichungsplattform anbietet. Auch Grundschulkinder sind sehr kreativ, was durch Projekte wie „Tiny Books“ und „Children’s Literature Festival“ unter Beweis gestellt wurde.
Natürlich gibt es eine gewisse Skepsis bezüglich der Schreibschulen. So wirft der deutsche Schriftsteller Maxim Biller in einer Glosse in der Wochenzeitung „Die Zeit“ (27.8.2023) die Frage auf, ob „man das Schreiben von Romanen und Geschichten an einer Schule lernen (kann) oder nur von sich selbst und seinen drei, vier Lieblingsautoren“. Biller selbst beantwortet die Frage, indem er sich lustig macht über Autoren, die Schreibschulen durchlaufen haben, und indem er über die dort lehrenden „Literaturfunktionäre“ schimpft, „die jeden, der einen eigenen Kopf und eigenen Stil hat, brechen wollen.“ Aber auch von den Musikkonservatorien hält er, wie der Schluss seiner Glosse im Blick auf eine Straßengeigerin zeigt, wenig.
Fortschritt durch Wissen erreichen
Ähnlich wie Maxim Biller scheinen manche hierzulande zu denken, wenn es um bestimmte Kunstrichtungen geht. Aber allein auf geborene Kunstgenies oder auf Autodidakten zu setzen ist doch wohl zu kurz gegriffen. Erfolg beruht meistens auf vermitteltem Wissen und auf dem Erlernen von handwerklichen Kompetenzen, die tradiert werden. Das dürfte für alle Künste gelten. Gewiss, Kunstschulen können nur den Grundstein legen. Den eigenen Weg suchen, wachsen und reifen, das müssen junge und ältere Talente schon selber bewerkstelligen.
Was im Bereich der Musik erfolgreich praktiziert wird, das müsste eigentlich in anderen Kunstbereichen zur Nachahmung anregen.
Der Autor ist Mitglied des Gemeinderates in Bartringen und war Professor am städtischen Athenäum.